
Aufs richtige Kaliber kommt es an
Besonders angenehm war das Jahr 1717 für etliche Mitglieder der Uhrmacherzunft vermutlich nicht. Damals erschien das Buch „Règle artificielle du temps”, welches der englische Mathematiker und Uhrmacher Henry Sully in Versailles geschrieben hatte. Heftig führte er in den Kapiteln VII und VIII Klage über eine Reihe seiner Berufskollegen. Diese seien so boshaft, schlecht und unverschämt, auf ihre Erzeugnisse die Namen der besten Künstler Europas zu setzen, nur um dadurch einen guten Absatz zu haben. Was sich in den folgenden Jahrhunderten auf dem Gebiet der Fälschungen und Nachahmungen noch abspielen würde, ahnte Sully vermutlich noch nicht einmal im Traum.
Freilich erschöpfen sich Sullys Leistungen für die Welt der Uhrmacherei bei weitem nicht in seinem literarischen Wirken. Viele handfeste Erfindungen, darunter die Ölsenkung, haben entscheidend zur Fortentwicklung der Uhrmacherkunst beigetragen. Auch die erstmalige Verwendung des Begriffs Kaliber geht wohl auf Henry Sully zurück. Schon 1715 bezeichnete er damit die Anordnung und die Abmessung der verschiedenen Teile des Werks (Säulen, Räder, Federhaus etc.). Form, Größe und Eigenart des Werks ließen Rückschlüsse auf die Herkunft einer Uhr oder den Namen ihres Erbauers zu, ermöglichten also letztlich die exakte Identifikation. Die bekannten Kaliber „Jones” (IWC), „Jürgensen” oder „Glashütte” sind typische Beispiele hierfür.
Prinzipiell hat sich an der Kategorisierung und Klassifizierung von Kalibern bis zum heutigen Tage nicht viel geändert. Immer noch stehen die Namen des Herstellers im Vordergrund. Allerdings reicht dieser alleine längst nicht mehr aus, um ein bestimmtes Kaliber unmissverständlich zu definieren. Deshalb steht hinter dem Namen zumeist eine Nummer, Buchstabenkombination oder die Kombination aus beidem. Anhand einer solchen Kaliberbezeichnung (z.B. Eta 2892-A2, Sellita SW500, oder Patek Philippe CHR 29-535 PS Q) ist es möglich, Ersatzteile zu bestellen. Heute kann man absolut sicher sein, dass sie exakt passen und lediglich eingebaut werden müssen. Gelegentliche Anpassungsarbeiten waren früher an der Tagesordnung.
In engem Zusammenhang mit den Kalibern steht deren Größe. Sie bezeichnet den Gehäusepassungs-Durchmesser, welcher beispielsweise bei der Neuentwicklung einer Uhr von entscheidender Bedeutung ist. Die Werksgrößen werden von der Schweizer Uhrenindustrie seit geraumer Zeit in metrischen Maßen (mm) dargestellt. Größenangaben runder Uhrwerke beziehen sich auf deren Durchmesser, bei Formwerken werden Länge und Breite genannt. Sie alleine sind mittlerweile ausschlaggebend für das exakte Maß eines Uhrwerks. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im traditionellen Uhrmacherhandwerk immer noch die Linie (“‘) gebräuchlich ist. Diese alte Uhren Maßeinheit, abgeleitet vom „Pied du Roi”, dem königlichen Fuß, entspricht 2,2558 mm.
Bei den Kaliberformen ist die runde mit Sicherheit die meist verwendete. Davon zu unterscheiden sind die so genannten Formkaliber, welche alle anderen Arten (oval, rechteckig, stabförmig, tonnenförmig …) umfassen. Entsprechend der Gestalt und Anordnung der Brücken und Kloben unterscheidet man in der Uhrmacherei zwischen Brückenkalibern, bei denen jedes Organ des Uhrwerks unter einer eigenen Brücke oder einem eigenen Kloben gelagert ist. Ob die Brücken gerade oder geschwungen gestaltet sind, ist letztlich nur eine ästhetische Frage. Die Funktion wird dadurch nicht beeinflusst.
Kalibern mit Dreiviertel Brücke, beispielsweise Glashütter Uhrwerke, bei denen alle Organe mit Ausnahme des Ankerrads und der Unruh unter einer Brücke angeordnet sind, die etwa ¾ der Werksoberfläche überdeckt.
Die Brückenkaliber gehen zurück auf den französischen Uhrmacher Jean Antoine Lépine (1720 1814). Er ersetzte dadurch die seinerzeit gebräuchlichen Uhrwerke mit zwei, von Pfeilern gehaltenen Platinen. Brückenkaliber wurden ab 1789 in Genf serienmäßig hergestellt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden fast alle hochwertigen Taschenuhrwerke in der neuen Brückenbauweise.
Als Lépine Kaliber werden in der Uhrenindustrie aber auch Werke bezeichnet, bei denen das Sekundenrad in einer Linie mit der Aufzugswelle angeordnet ist. Diese Bauweise findet man zumeist bei Werken für „offene” Taschenuhren mit Krone bei der „12″ und kleiner Sekunde bei der „6″. Gelegentlich gab und gibt es auch Armbanduhren mit Lépine Kalibern. Bei ihnen befindet sich die kleine Sekunde bei der „9″ oder die Krone bei der „12″.
Bei Savonnette Kalibern steht das Sekundenrad in einem 90-Grad-Winkel steht zur Aufzugswelle. Diese Anordnung war und ist gebräuchlich bei Uhrwerken für Sprungdeckel Taschenuhren oder Armbanduhren mit kleiner Sekunde bei der „6″.
Das mechanische Uhrwerk